Die Welt der Erwerbsarbeit provoziert Konflikte, Interessengegensätze und Verteilungsfragen. Zusätzlich ruft die Transformation der Wirtschafts- und Arbeitswelt große Verunsicherung hervor. Lassen sich angesichts hoher Energiepreise Unternehmen in Deutschland halten? Gehen durch die Digitalisierung Arbeitsplätze verloren? Für die Betriebe geht es um Zukunftsfähigkeit, für den Einzelnen um die Sicherung der Existenz. Hinzu kommt der demografische Wandel, der nicht nur einen Fachkräftemangel mit sich bringt, sondern der auch die sozialen Sicherungssysteme herausfordert. Können wir es uns als Gesellschaft leisten, möglichst früh im Leben gar nicht mehr zu arbeiten oder nur noch vier Tage pro Woche? Liegt in all dem nicht das Potenzial für soziale Spaltung?
Vielleicht überrascht daher der Titel Die versöhnende Kraft der Arbeit. Ein Impulspapier zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Aber es scheint an der Zeit, den Blick zu weiten und Arbeit – als Teil des Menschseins – mit all ihren Dimensionen zu betrachten.
Die Kirche setzt sich seit über 150 Jahren mit der sozialen Frage auseinander. Schon in der ersten päpstlichen Sozialenzyklika Rerum novarum stand die Arbeitswelt im Mittelpunkt. 90 Jahre später erklärt Papst Johannes Paul II. in der Enzyklika Laborem exercens, dass Arbeit dazu dient, „mehr Mensch“ zu werden. Diesen abstrakt klingenden Gedanken greifen wir in unserem Impulspapier auf und aktualisieren ihn für die Gegenwart.
Die Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz widmet sich in diesem Impulspapier verschiedenen Facetten von Arbeit – von der Persönlichkeitsentfaltung bis zum Dienst an der Gesellschaft. Ohne schönzureden, müssen auch die positiven Seiten von Arbeit benannt werden. Dieser Text richtet sich daher an die, die mit ihrer Arbeit hadern, an die, die Arbeitsplätze zur Verfügung stellen und an die, die für die auf dem Arbeitsmarkt verantwortlich sind.
An dieser Stelle danke ich zunächst der Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit mit Herrn Dr. Markus Schmitz als Hausherr, der uns diese Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt hat. Mein besonderer Dank gilt Ihnen, liebe Frau Nahles, als Vorsitzende des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit, für Ihr Geleitwort, mit dem Sie unserem Anliegen Nachdruck verleihen, und für die Möglichkeit, dieses Impulspapier bei Ihnen vorzustellen. Sicherlich sind die Bundesagentur für Arbeit und ihre Jobcenter Kristallisationspunkte der Sorgen, Ängste und Hoffnungen, die mit Arbeit verbunden werden. Sie versuchen immer wieder die Brücke in die Arbeitswelt zu schlagen, auch weil Arbeit mehr ist als Broterwerb.
Oder ist Arbeit nur Mittel zum Zweck: Geld verdienen, funktionieren, durchhalten? Das greift zu kurz – und ist gefährlich. Wenn Arbeit nur noch als Last empfunden wird, geht verloren, dass Arbeit einen Beitrag zu einem erfüllten Leben und einem guten Miteinander leisten kann. Gleichwohl sehen wir, dass es Arbeitsbedingungen gibt, die es schwer machen, in der Arbeit Sinn zu finden.
Arbeit ist ein Ort der Menschwerdung:
1. Arbeit verändert sich – und bleibt wichtig. Digitalisierung und KI bewirken auf dem Arbeitsmarkt eine fundamentale Transformation. Auswirkungen des Wandels sind auch für die betriebliche und die gesellschaftliche Organisation von Arbeit zu erwarten. Dabei wird die Arbeit verändert, aber nicht vollständig ersetzt. Menschliche Arbeit bleibt aus ökonomischer, sozialer und kultureller Perspektive wichtig.
2. Arbeit stiftet Gemeinschaft. Am Arbeitsplatz begegnen sich Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und Lebenserfahrungen. Diese Vielfalt ist eine riesige Chance, andere kennenzulernen und wertzuschätzen. Damit aus Fremden Freunde werden. Gemeinschaft entsteht im Miteinander. Wer Menschen ausgrenzt, auch vom Arbeitsmarkt, spaltet unsere Gesellschaft. Gleichzeitig sollten alle, die arbeiten können, aus Respekt vor den Mitmenschen zum Gemeinwohl beitragen. „Die Arbeit […] erfüllt uns mit Würde; sie macht uns Gott ähnlich“, sagt Papst Franziskus.
3. Arbeit ist gelebte Demokratie. Im betrieblichen Alltag lernen Menschen, sich einzubringen, Verantwortung zu übernehmen, andere Meinungen auszuhalten. Das sind keine Nebensächlichkeiten – das ist demokratisches Grundtraining! Wenn wir erleben, dass unsere Stimme zählt – im Team, im Betriebsrat, in der Werkstatt –, dann werden wir auch als Bürgerinnen und Bürger aktiv.
4. Arbeit muss sichtbar sein. Unter welchen Bedingungen wer arbeitet, muss gerechtfertigt werden. Arbeit braucht daher Öffentlichkeit – sowohl im Betrieb als auch in der Gesellschaft. Es braucht eine sachlich geführte, öffentliche Diskussion über Arbeitsbedingungen, wie Arbeitsmarktintegration gelingt, wie Arbeitskräfte gewonnen und gefördert werden können und wer für den oder im Arbeitsmarkt besondere Unterstützung braucht.
5. Arbeit erfordert einen ethischen Kompass. Arbeit setzt die gleiche Würde eines jeden Menschen voraus. Unternehmerinnen und Unternehmer übernehmen durch ihr selbstständiges Handeln und durch das Tragen von Risiken Verantwortung für die Gestaltung von Gesellschaft. Zur Umsetzung ihrer Ideen braucht es die Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Um dieses Miteinander menschenwürdig zu gestalten, bedarf es einer Rahmenordnung, wie sie die Soziale Marktwirtschaft bereithält. Ökonomische Erfolge, gerechte Strukturen und gutes Betriebsklima gehören unbedingt zusammen. Arbeit erfordert notwendig einen ethischen Kompass.
6. Arbeit braucht Befähigung. Arbeit ermöglicht Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Unsere Demokratie ist darauf angewiesen, dass Menschen sich einbringen. Deswegen müssen Menschen dazu befähigt werden, an diesem Miteinander zu partizipieren. Eine Bildungs- und Sozialpolitik, die Befähigung für alle ermöglicht, ist Ausdruck einer solidarischen Verantwortung.
7. Arbeit schafft Zuversicht. Wer spürt, dass er oder sie gebraucht wird, erlebt Sinn. Auch wenn die Arbeit schwer ist, strukturiert sie unseren Alltag und gibt uns Halt. Arbeit ist Teil des Lebens und nicht sein Gegenspieler. Wer hingegen nur noch funktioniert, verliert sich selbst. Der Mensch ist kein Rädchen im Getriebe. Das ist eine zutiefst theologische Aussage: Arbeit ist Teil unserer Berufung, die Welt mitzugestalten.
Deshalb laden wir mit unserem Impulspapier Die versöhnende Kraft der Arbeit ein: Lasst uns Arbeit neu denken. Lasst uns eintreten für eine Arbeitswelt, die verbindet, bildet und trägt. Nur so bleibt unsere Gesellschaft im Innersten zusammen.
Arbeit ist mehr als ein Job. Sie ist das Rückgrat unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts.